Künstler_innenstipendium Istanbul-Berlin
Seit 2018 werden jährlich zwei Stipendien an in Istanbul lebende Künstler_innen vergeben. Das Stipendienprogramm der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert den kulturellen Austausch und unterstützt die künstlerische Entwicklung professioneller Künstler_innen als Bestandteil der aktiven Städtepartnerschaften zwischen Berlin und Istanbul und zur Stärkung der Verbindungen zur aktuellen türkischen Kunstszene. Das bereits bestehende Istanbul-Stipendium der damaligen Senatsverwaltung für Kultur und Europa wurde 2018 auf Initiative der nGbK zu einem echten Austausch erweitert, indem jährlich zwei Künstler_innen aus Istanbul von einer Jury ausgewählt und nach Berlin entsandt werden und umgekehrt. Es folgt der Überzeugung, dass internationaler Austausch und unmittelbare Kommunikation kulturelle Vielfalt als Bereicherung erlebbar werden lassen und zum kritischen Perspektivenwechsel einladen.
Serpil Polat
15. Januar – 15. Juni 2025
Serpil Polats künstlerische Arbeit beschäftigt sich mit Fragen zu Identität, Geschlechterrollen, Ökologie, Stadt und Erinnerung. Dabei entwickelt sie eine einzigartige erzählerische Sprache an den Schnittstellen zwischen diesen Bereichen. Die Künstlerin nutzt Fotografie als Werkzeug, um die Geschichten der Orte, an denen sie lebt, zu verstehen und zu erzählen, setzt aber auch andere Medien wie Video, Ton und Schnitt ein, um ihre Darstellung zu untermalen. Im Mittelpunkt ihrer Produktionen stehen dokumentarische Fotoarbeiten, mit denen sie die verschiedenen Ebenen der Realität sichtbar machen will. Polat positioniert ihre Kunst als Mittel des Dialogs und der Konfrontation und beleuchtet mit ihren Themen nicht nur individuelle, sondern auch gesellschaftliche Fragen.
Die Beelitz-Heilstätten, im Südwesten Berlins gelegen, sind ein Ort mit einem tiefen sozialen Gedächtnis. Das als Hitlers Privatkrankenhaus bekannte Gebäude wurde während des Ersten und Zweiten Weltkriegs zur Behandlung verwundeter Soldaten genutzt und diente nach 1945 als Militärhospital der Roten Armee. In Fortführung ihrer Arbeit über verlassene Erinnerungsorte möchte die Künstlerin dokumentieren, wie die Beelitzer Heilstätten und ähnliche Gebäude zur sozialen Konfrontation, zur Abrechnung mit der Vergangenheit und zur Konstruktion von Erinnerung beitragen. Mit ihrer dokumentarischen fotografischen Arbeit möchte sie die historischen Realitäten und alternativen Diskurse dieser Orte sichtbar machen.
Serpil Polat studierte Fotografie an der Fakultät für Bildende Künste der Universität Kocaeli. Ihre fotografischen Arbeiten wurden in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht und waren in zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen zu sehen. Von 2012 bis 2020 arbeitete sie als Mitglied des Kollektivs NarPhotos. Als Mitglied des Zin-Kollektivs konzentriert sich die Künstlerin auf individuelle Fotoprojekte und produziert Werke, die sich mit sozialen, kulturellen und individuellen Themen auseinandersetzen und dabei die Möglichkeiten der Dokumentarfotografie nutzen.
rezzan gümgüm
15. Juli – 15. Dezember 2024
Von Juli bis Dezember 2024 ist rezzan gümgüm Stipendiatin des Istanbul-Berlin-Stipendiums des Berliner Senats. Ihre künstlerische Praxis umfasst verschiedene Medien wie Performance, Video, Installation, Fotografie und Stickerei auf Stoff. In ihrem vielseitigen Werk setzt sie sich mit Themen wie Identität, Geschlecht, Krieg, Konflikten, Vertreibung und Artenvielfalt auseinander, eingebettet in den breiteren Kontext von Ökologie, Politik und Gesellschaft. In ihrer Kunst erforscht gümgüm sowohl persönliche als auch kollektive Erfahrungen innerhalb der strukturierten Routinen des Alltags. Sie ist Mitbegründerin des Rê-Kollektivs, einer Kunstgruppe mit kritischem Fokus auf die mesopotamische Region, die öffentliche Räume als Plattformen für künstlerischen Ausdruck nutzt und inklusive Kunst schaffen will, die für alle zugänglich ist.
In Berlin will gümgüm ihr laufendes Projekt Goat on the Mountain, Moon in the Sky, Fish in the Water weiterentwickeln, das die kulturelle und biologische Vielfalt sowie das tägliche Leben in Dersim untersucht, wo Natur und lokale Kultur ineinandergreifen. Ihre Arbeit regt dazu an, die erkenntnistheoretische Verbindung der Menschheit zur natürlichen Welt neu zu überdenken, was angesichts der akuten Bedrohung der globalen Artenvielfalt von besonderer Relevanz ist.
Während ihres Aufenthalts plant gümgüm, mit Menschen aller Generationen zusammenzuarbeiten, deren Familien gewaltsam aus der Region Dersim nach Berlin vertrieben wurden, sowie mit Nichtregierungsorganisationen, die sich mit den Problemen von Migrantinnen in der Stadt befassen.
Zwischen 2007 und 2020 studierte gümgüm Kunst an der Hacettepe Universität in Ankara, an der Universität Madrid Complutense, an der Gazi Universität in Ankara und an der Macerata Accademia di Belli Arti, Macerata, Italien. Ihre Werke und Performances wurden in Einzel- und Gruppenausstellungen in der Türkei und im Ausland gezeigt, zuletzt als Teil des Videoscreenings Antiwarcoalition.art im ZKM, Karlsruhe.
Das Stipendium der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt wird im Rahmen einer Kooperation zwischen der neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) und dem Kunstraum Kreuzberg/Bethanien in Berlin sowie dem DEPO in Istanbul ermöglicht.